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Sistas, Homies, Dykes, Sissys, Queers, Bitches - wir küssen den Boden auf dem ihr tanzt…
JT:
In euren Lyrics schreibt ihr: „vieles wäre einfacher, wenn es nicht nötig wär, sich zu entscheiden für eine der beiden Arten zu leben und sich zu kleiden und ich wünsch, ich hätt ´ne Chance, bei mir zu bleiben“. Bei der Workshopbeschreibung auf eurer Website kann man nachlesen, ihr wollt nicht nur drag machen, sondern auch doubledrag….und, dass es kein Original von Geschlecht gibt, durchaus aber patriarchale Verhältnisse, in denen Geschlecht sich in Körper schreibt.
Was macht es aus, dieses ´bei mir zu bleiben´. Ist das eine Performance, die sich in eurer Bühnenshow spiegelt, und darüber hinaus in einen ´Alltag´ fortsetzt? Was ist mit dem ´Ich´ gemeint, wenn es kein originäres Geschlecht gibt?
Sissy Boyz:
Ich persönlich geh´ nicht von einem originären, angeborenen biologischen Geschlecht aus, sondern sage, dass Geschlecht für mich völlig sozial ist und gesellschaftlich hergestellt wird. D.h. über den ´Urzustand´ kann ich keine Aussage machen. Ich kann aber dann, zu einem späteren Zeitpunkt, durchaus ne Aussage dazu machen, was Leute quasi für ein Geschlecht angenommen haben. Was sie geworden sind als Geschlecht, was sie als Zurichtung oder als Selbstbestimmung erlebt haben, oder wo sie sich dann als Geschlechtscharakter hin bewegt haben. Und es gibt etwas jenseits von Geschlecht. Was einfach heißt, dass man nicht aufs Geschlecht die ganze Zeit reduziert und definiert werden will. Das man nicht immer zugerichtet werden will, das man auch mal man selbst sein will! Ohne die Einschränkung oder die Privilegien, die mit Geschlecht einhergehen.
Bei sich zu bleiben, das kommt auch sehr aus einer Alltagserfahrung, dass man halt auf der Strasse auch ständig irgendwie damit konfrontiert wird, oder aus dem Klo rausgeschmissen wird, weil man grad wie ein Typ aussieht. Das sollte einfach mal egal sein.
Ja oder auch, wenn man aussieht wie eine Frau, dass das ganz oft was mit Abwertung zu tun hat, mit einer Sexualisierung oder mit einem reduziert werden auf fickbar.
Oder auch, wenn man aus dem Klo rausgeschmissen wird, dass man nicht die eine Sache sein möchte, sich aber auch nicht für die andere Sache entscheiden möchte. Und deswegen auf keinen Fall bei sich selber bleiben kann, weil man sich weder dahin noch dahin definieren möchte.
Ich find Klos ein schlechtes Beispiel, weil Klo ja nicht so der Ort ist, wo man bei sich ist, sondern da ist eher der Ort, wo diese Einteilung stattfindet rausgeschmissen, angeschaut werden. Aber dieses ´bei sich bleiben´ ist dann ja vielleicht eher ne Erfahrung, differenziert wahrgenommen zu werden. Ich bin auch keine Vertreterin der Zusammenlegung aller Toiletten, weil dann sind die immer völlig verpisst.
JT
Tragt ihr die Bühnenperformance in den Alltag weiter?
SB
Also ich denke, zu einem Teil schon. Was wir auf der Bühne darstellen, ist ein Teil von uns, aber nicht so stark, dass wir mit unserer Bühnenidentität jetzt wirklich im Alltagsleben vorhanden sind. Da bin ich nicht einer von den Sissy Boyz. Klar wird man darauf angesprochen, und dann finden auch Auseinandersetzungen statt. Aber die Identität auf der Bühne wird nicht wirklich in den Alltag mitgenommen.
Was ich da darstelle, ist ein Teil von mir, ein Teilaspekt, den ich darstellen will, den ich leben kann. Ich meine, die Diskussionen, die wir innerhalb der Band haben über Geschlecht, über Körper, über groß sein, klein sein, dick sein, dünn sein, alt werden, alles mögliche, Titten haben und so, das kommt dann auch wieder zurück, das nehme ich dann auch wieder mit in meinen Alltag und auf die Bühne!
Also, ich für mich kann sagen, dass ich das auf der Bühne auf die Spitze treibe. Es ist einfach ne 100%-ige Steigerung von dem, was ich sonst im alltäglichen Leben habe. Auf der Bühne bin ich schon eine Kunstfigur, es ist einfach auf die Spitze getrieben. Und es ist auch die Berechtigung auf der Bühne, Sachen viel konkreter darzustellen und krasser zu machen. Von daher auf jeden Fall gibt’s Unterschiede zwischen Alltag und Bühne.
Steve, der ich auf der Bühne bin, ist irgendwie ein Proll, ein Boygroup-Mitglied halt. Das ist nicht das, wie ich als Mann, in Drag, im Alltag auftrete. Da bin ich nicht gezwungener maßen Steve, sondern meistens jemand anders. Aber Teile davon gehen hin und zurück, das ist natürlich so ein Wechselspiel.
Am Anfang haben wir auf der Bühne nicht gesprochen. Wir haben nur gesagt, ja wir sind die coolen Jungs, sind so und so alt und die Frauen liegen uns zu Füßen, wir sind so geil. Weil ich jetzt zwischendurch immer etwas sage, ändert sich das auf einmal. Dann will ich da so eine Mischung hin kriegen. Dass ich einerseits dieser Typ bin, der total unreflektiert dämlich ist, aber andererseits will ich ja nicht auf der Bühne stehen und irgendwie platte Männlichkeit darstellen. Ich will ja schon was differenziertes performen, auch mit einer Homosexualität arbeiten, oder mit so einem alternativen Männerbild. Wir begreifen uns nicht als Dragkings.
JT
Ihr sagt in einem eurer Texte: „wenn du in ihrem Ansehen sinkst, es nicht mehr so bringst...“
Wie sind eure Erfahrungen mit Ausschlüssen in eindeutig gegenderten Szenen, wie z.B. Teile der Lesbenszene, die nicht mit de-konstruktivistischen Politiken arbeiten, oder auch Freundinnen? Wie sieht euer Umgang damit aus?
SB
Meine Erfahrung mit der Lesbenszene ist, dass Ausschlüsse darüber laufen, dass deren Realität, jedenfalls von der Mainstreamlesbenszene, eine andere, als meine Realität ist. Da fühl ich mich auf Parties oft nicht wohl, weil die Drinks so teuer sind. Die machen Pärchenterror total.
Es ist halt a Schmarren mit der Mainstream, ich meine den homosexuellen Mainstream! Also auch den Lesbenmainstream. Ich fühle mich oft auf Parties unwohl, bei denen ich das Gefühl hab, ich werde die ganze Zeit angestarrt. Ich bin eh zu uneindeutig, in dem wie ich auftrete, was ich mache.
Es gibt Ausschlüsse in jeglicher Richtung. Im Zweifelsfall sind wir zu ungewaschen oder wir sind zu groß oder wir haben zu wenig Kohle dabei oder wir sind nicht lesbisch genug oder wir interessieren uns grad überhaupt nicht für Sex oder wir hassen Pärchen oder wir interessieren uns nicht für Katzen oder doch… Ich fühl mich in einer PunkQueerSzene aufgehobener, als in der Frauenszene, wo alle so befreundet sind. Ihre Aggressivitäten irgendwie anders austragen. Damit will ich nicht eine Frauenszene dissen oder eine prinzipielle Berechtigung absprechen. Ich finde nur, dass da vieles falsch läuft ganz oft!
JT
Wie ist euer künstlerisches Konzept? Was unterscheidet euch von anderen Gruppen? Gibt’s da Kontakte, Zusammenarbeiten, Konkurrenzen?
SB
Wir mögen die Pussycoxxs gern, mit denen sind wir mal aufgetreten in Berlin und die Estrokings aus Amsterdam sind auch sehr toll.
Dann glaub ich, dass ich mit meinen Ansprüchen, also das, was ich auf die Bühne bringen will, auch scheitere. Das Publikum sieht das allerdings meistens ganz anders. Sie finden oft sehr toll was wir machen. Dann sagen wir cool, dann machen wir das so.
JT
Was sind die Ansprüche?
SB
Ja, wir treten auf und danach gehen alle aus dem Haus, ändern ihr Leben, machen Revolution, werden glücklich und haben guten Sex.
JT
Bezieht sich eure Performance ausschließlich auf die Subversion von gegenderten Screens, oder bezieht ihr z.B. auch antirassistische Politiken in eure Bühnenshow ein?
SB
Angestrebt ist das schon, aber bisher kommt auf der Bühne mehr als das gegenderte nicht rüber. Die Sissy Boyz sind allerdings mehr als das, was wir auf der Bühne machen. Es gibt die Genderfuck-Workshops, unsere Website, Zines und Veranstaltungen. Wir treten auf Soliparties auf etc. Es ist uns auch wichtig, mit wem wir auftreten.
JT
Ist es euch wichtig, Begehrenspolitiken zu formulieren, oder führt ihr das Konzept des Drag, den Anspruch von festen identitären Kategorien wie schwul/lesbisch/hetero(sowie) ad absurdum?
SB
Unser Label ist ja im Prinzip, dass wir queer sind, und dass wir irgendwie ne AllGirlBoyGroup sind. Damit ist ja relativ viel abgedeckt.
Für mich gehört zum Begriff queer auch eine Neuformulierung von Geschlechtern mit einem anderen Leben von Geschlechterrollen dazu. Und in dem, und das als Gruppe, würde ich jetzt auch nicht größere Aussagen machen wollen, was jetzt unsere persönlichen Definitionen sind. Das läuft unter queer für mich, so!
Man kann ja nicht außen vor lassen, dass es im täglichen Leben Genderkategorien gibt. Deswegen können wir uns auch AllGirlBoyGroup nennen. Wir lassen ja die Begriffe nicht außen vor! Wir benutzen die Begriffe.
Es ist für mich nicht unbedingt ein Widerspruch, queer zu sein, mit der Vision der Vervielfältigung von Geschlechtern. Und andererseits zu sagen, man ist eine Lesbe und steht auf Frauen, was immer das dann im einzelnen Fall auch sein mag. Und queer bietet eine ganz andere Möglichkeit für Identität. Ich find es auch problematisch, Identität daran fest zu machen, mit wem oder was man ins Bett geht.
Ich will von diesen Labeln, wie du es nennst, weg. Ich will nicht ständig definieren müssen -Frau, Mann, Lesbe, Hete, Schwuchtel, sonst was. Ich möchte, dass das unwichtig wird. Das ich halt ich bin, und die Sachen mache, die ich mache, und ficke, mit wem ich halt ficken will.
Damit lösen wir natürlich diese Labels auf der Bühne in dem Moment nicht auf! Außer, man denkt halt eine Sekunde darüber nach.
Ja und auch dadurch, dass wir sie wieder wechseln. Mit den Labels spielen und ändern, als Boygroup sind wir eigentlich total heterosexuell.
JT
Wie erarbeitet ihr eure Bühnenperformance? Gibt es da Zuständigkeiten? Kann jede/r machen was sie will? Gibt es Absprachen?
SB
Zusammen machen wir das. In dem Raum, den wir grad zur Verfügung haben. Unser erstes Lied haben wir in dem 15m² Zimmer von Steve gemacht! Die ganze Choreografie. Ja, aber meistens trinken wir nur Kaffee.
Und essen Stullen. Wir sind überhaupt alle sehr gute Esser.
Wenn irgendwer einen Liedvorschlag hat, wird der eingebracht. Er wird oftmals sehr schnell abgeblockt oder auch nicht. Dann kommen irgendwelche verrückten Tanzchoreografien mit auf die Knie fallen, was ein Teil der Menschen nicht machen können, dann fällt das auch wieder raus, so entstehen dann die geringfügigsten Choreografien, die wir dann so haben.
JT
Wie denkt ihr über die Zukunft nach?
SB
Also, erstmal wollen wir noch besser werden und uns künstlerisch weiter entwickeln. Wir arbeiten grad mit SV Damenkraft aus Wien an einem gemeinsamen Stück, mit dem wir im Herbst auf Tour gehen werden.
Wegen der Professionalität: Ich finde es wichtig, dass wir noch ein bisschen besser werden, aber ich möchte aufpassen, dass wir nicht total gestriegelt und überheblich und total vom Publikum weg sind! Das Publikum ist das Wichtigste! Ich hatte bisher den Eindruck, dass es auch einen gewissen Charme hat, nicht superprofessionell zu sein. Ein bisschen Trash gehört dazu! Das macht ja auch unser Konzept aus - spontan zu sein, kein Konzept zu haben in manchen Momenten.
Für manche Leute ist es auch interessant, eine gewisse Normalität, die wir haben, auf der Bühne zu sehen. Das pusht dann auch. Und das pusht uns, wenn wir es bei anderen sehen.
Das Interview führte Joshua Taubert (JT)
Eine stark gekürzte Version dieses Interviews ist erschienen in:
fiber. werkstoff für feminismus und popkultur. Heft 8/2005 www.fibrig.net
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Queer as fuck
UNDERDOG: Die Sissy Boyz: Weichei und Tunte. Sex-bejahend und transgenderfreundlich. Glaubt ihr an die These, Mann und Frau passen nicht zusammen oder spielt ihr lediglich mit den Vorurteilen?
SISSY BOY: Mann und Frau? Hm.. ich glaube da fängt das Problem schon an... mit den zwei Kategorien. Ich sehe es so, daß Menschen an sich viel zu komplex und unterschiedlich sind, um sie in nur zwei Geschlechter zu pressen. Momentan würde ich eher so von zwanzig, dreißig oder auch tausend Geschlechtern ausgehen. Immer eine Frage der Einteilung.
Die verbreitete Vorstellung von Geschlechtern ist eine Sammlung ganz verschiedener Aspekte, da hast du Hormone, Genitalien, Partnerwahl, Titten, Haare, Aussehen, Soziale Stellung, Sexualität, Klasse, Fortpflanzung, Hautfarbe, Alter, Kleidung, Verhalten, Vornamen, Gene, Keimdrüsen, Herkunft... alles völlig chaotisch verteilt. Daraus setzt sich, und da gibt es je nach Kulturkreis und Epoche sehr große Unterschiede, das eine oder andere Geschlecht zusammen. Einige Kulturen kennen drei oder fünf Geschlechter.
Manche Menschen wollen oder können sich gar nicht bei Mann oder Frau einordnen, weil sie ihr Geschlecht anders empfinden oder weil die Kombination der verschiedenen Aspekte von Geschlecht sie für andere Uneindeutig erscheinen läßt. In vielen Fällen werden die dann zugewiesen, das fängt im Prinzip schon dort an, wo Mädchen nicht auf Bäume klettern dürfen, Jungs hart sein müssen oder bei der Hormonvergaben an Teenager- bis hin zu den ganz schlimmen Sachen wie Genitalverstümmelungen an als Intersexuell eingeteilten Neugeborenen. Viele Anpassungen laufen sehr subtil ab, ist halt "normal".
SISSY BOY: Die Geschichte mit Transgender ist für uns sehr wichtig, wir setzen uns dafür ein, daß Menschen ihre Geschlechtszugehörigkeit frei wählen können. Sich für "er" oder "sie" oder auch beides entscheiden können. Darüber wurde ja in den letzten Jahren viel diskutiert, besonders über die Öffnung von FrauenLesben Räumen für Transgender. Es ist erschreckend, wie biologistisch da teilweise argumentiert wurde. Als wären alle Frauen "die Guten" und alle Männer "die Bösen".
SISSY BOY:...da heißt meine Freiheit: Uneindeutigkeit
SISSY BOY: Als KünstlerInnen arbeiten wir mit den Bildern die es über Männer und Frauen in unserer Gesellschaft gibt und versuchen sie auf der Bühne zu brechen, Sehgewohnheiten anzugehen. "So, ha!.. Jetzt bin ich auch ein Mann. Das war leicht. Und? Hast du Angst? Und?"
Wir wollen Männer nicht einfach imitieren, wir haben uns selbst als Boyz erfunden. Mein Verständnis von Männlichkeit hat sich durch das Performen mit den anderen Sissy Boyz sehr erweitert. Es ist auch ein Teil der Lebensrealität und des Selbstbildes geworden. Und dann möchte ich natürlich auch ein toller Boy sein. Kein Macho Arsch... Als Mitglied einer Boygroup gibt es dann noch diese ganzen Klischees und Images mit denen wir rumposen können. Der Träumer oder Draufgänger. Wir waren ja nicht umsonst als Teenager New Kids on the Block und East 17 Fans.
SISSY BOY: Mich haben auch die Backstreet Boyz nicht unbehelligt gelassen... Zu deiner Frage ob Mann und Frau zusammenpassen: also Autonomer und Bullenfrau wohl nicht... Schlagzeugerin und Sänger.. na klar! Es gibt ja noch so viel mehr als Geschlecht!!
UNDERDOG: Das hauptsächliche Element ist eure Darbietung als "Boygroup". Seht ihr diese Verkleidung als Parodie auf die Konservenmusik oder ist es auch nur Entertainment im Sinne von Kabarett?
SISSY BOY: Beides. Wir parodieren die Künstlichkeit von Boygroups, das inszenierte Spiel des Begehrens, verdrehen die "Wahrheit" der Bühne, provozieren, rappen über Geschlechter, schwuchteln miteinander rum, ... aber wir unterhalten auch. Wir möchten das unser Publikum was zum lachen hat und was zum Träumen.. endlich mal eine Boygroup live sehen! Und du kannst in der ersten Reihe sein. Synchronisiertes Tanzen, große Gefühle... Wir machen das, weil wir selbst soetwas sehen möchten. Entertainment, ja.. aber nicht der klassische Hollywood-Streifen: in diesem Film überleben die Homos... Ohne unser Publikum sind wir als Boygroup gar nichts.
UNDERDOG: Was versteht ihr genau unter "Genderfuck"? Benutzt ihr weitere provokante Ausdrucksmittel in Style und Sprache oder benötigt ihr eine bestimmte Etikette für eure Bühnenshow?
SISSY BOY: Genderfuck ist erstmal so ein Schlagwort, daß wir mit Gender (Geschlecht) rummachen, das das unser Thema ist. Wir wollen das ganze System aufmischen. Queer as fuck.
UNDERDOG: Eure Bühnenshow ist bestimmt von einstudierten Choreographien. Woher kommen die Ideen, habt ihr visuelle Orientierungspunkte und schaut euch die ganzen Britney Spears/NO ANGELS/BACKSTREET BOYS-Videos auf MTVIVA an?
SISSY BOY: Wir sehen nicht viel fern, leider hat niemand von uns Musikfernsehen, so ein shit.. nee.. unsere Choreographien machen wir selbst. Wir tanzen gern und viel, rocken die Tanzflächen auf Partys.. Dann hat eine ne Idee, so was kompliziertes meistens und dann kann das die Hälfte der Boyz nicht, dann sagen wir ach.. schade, dann macht ihr zwei das doch, wir drei machen dann was anderes... wir lieben große Gesten und klare Formationen, wagemutige Hebefiguren und ach.. Ballett machen wir ja auch. Da heilen wir Mikes Narben, der ist als Kind beim Ballett mal ganz fies diskriminiert worden, weil er kein süsses, reiches, dünnes Mädchen war... aber meistens sitzen wir auf dem Dach von Dans Haus und essen Stullen...
UNDERDOG: Bislang seid ihr einfach nur eine Karaoke/Playback-Band. Das kann beizeiten langweilig werden. Warum versucht ihr euch nicht gänzlich an eigene Ideen?
SISSY BOY: Wie kommst du drauf, daß wir "nur" eine Karaoke/Playback Band sind? Wir machen Hip Hop (meinst du das mit Karaoke?), arbeiten mit Performance-/Theaterelementen in unserer Show, Choreographieren die Stücke selbst, managen uns selbst, schreiben und designen unsere Website/Poster/Shirts....
Ey, Playback- das ist eine Kunstform für sich. Musst du unbedingt mal ausprobieren ... Da du dich nicht auf das Singen konzentrieren musst, hast du viel mehr Möglichkeiten bei Mimik, Gestik und Tanz...
SISSY BOY: Die Sissy Boyz sind viel mehr als das was auf der Bühne geht, wir verstehen uns neben unserer Bandexistenz auch als Kunst- und Diskussionskollektiv, sind bei "Bad Reputation Bremen", geben Interviews, mischen uns in laufende Debatten ein, machen Workshops zum Thema Geschlecht/Feminismus, machen Filme (step up and be vocal), Foto-Love-Stories, Zines (you rock my world), Comix, Soli-Partys (rrriot trash de luxe), spielen Theater, Konzerte... Wir wollen einfach jede Szene der wir angehören auch aufmischen, sei es die Polit-Punk Fraktion, die FrauenLesben, die Mainstreamhomos oder die Internationale Queerszene...
SISSY BOY: Langweilig ist es mit den Boyz nie!!!
SISSY BOY: Aber was du warscheinlich meinst, ist, warum wir unsere Auftrittsmusik nicht selbst machen. Daran arbeiten wir... wir haben grad unseren ersten Pop Song fertiggestellt... den performen wir auch Playback... die Boyz lieben Eurotrash, Beats und Pop wenn es ums Tanzen geht... nix was unsere Punkbands produzieren wollen.. ja, wir haben einfach zuviel auf einmal vor und im Moment stehen andere Sachen im Vordergrund. Davon abgesehen ist es kein leichtes einen Dancefloor-Hit zu produzieren...
UNDERDOG: Habt ihr bereits vor SISSY BOYZ Bühnenerfahrungen gehabt? Unter welchem Motto setzt ihr eure Bühnenshow?
SISSY BOY: Ja, wir spielen in diversen Bands: largact.ill (hc-punk), too rude to be cute (femqueer-punk), die ukulele will raus (akustik), das neunte ma(h)l (queerpunk), schnuppi & panda (trash-pop)... Denniz und Dan uns spielen seit Jahren Theater...
SISSY BOY: ...und Steve hat auf der Freilichtbühne Tecklenburg mal eins der Räuberkinder bei Pipi Langstrumpf gespielt...
UNDERDOG: Wie bereitet ihr euch auf die Bühnenshow vor?
SISSY BOY: Wir schmeißen uns Backstage in Schale, drehen den Pegel auf hundert Prozent, liefern uns unseren männlichen Egos völlig aus.. und warmtanzen, nicht zu vergessen. Irgendwer hat bestimmt sein Headset vergessen, das muß dann fix noch aus BH-Bügel und Gaffa-Tape gebastelt werden...
UNDERDOG: Was sind für euch positive männliche Eigenschaften?
SISSY BOY: Sensibilität, Humor, Offenheit, Ehrlichkeit, Reflektiertheit, Queerness, Kreativität, Romantik, Stärke, Politisches Bewußtsein, Prollig sein, Weichheit...
Sofern du wissen willst, was wir an manchen Männern mögen... aber bitte nicht alles auf einmal!!! Bei anderen schätzen wir auch die Fähigkeit den Raum zu verlassen und niemals wieder aufzukreuzen.
Nee, mal im Ernst, das Konzept "männliche" Eigenschaften ist uns nicht ganz eingängig. Was soll das sein? Steht das im Gegensatz zu "weiblichen" Eigenschaften (so wie Fingernägelfeilen, Premenstruell sein, Schlagzeug spielen, Intelligenz, Haare ziehen und Klauen?).
Das es gesellschaftliche Unterschiede und Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen gibt wollen wir keinesfalls leugnen- wozu sonst unser Bezug auf Feminismus? Für mich ist es oft kompliziert Geschlechter einerseits zu dekonstruieren (aufzulösen) und andererseits politisch-feministisch mit ihnen zu argumentieren. Das Ziel ist die Gleichtheit und Freiheit aller Menschen und das Ende von Unterdrückung...
SISSY BOY: - ach wie pathetisch-
SISSY BOY: Stimmt aber! Und dazu müssen jegliche Unterdrückungsverhältnisse angegangen werden, wir bleiben da nicht bei unseren runden, weißen Arbeiter-/Mittelklasse Ärschen stehen... Die weltweite Revolution soll es sein (hahaha...) steht grad nicht vor der Tür, aber individuelle und kollektive Emanzipation ist ein durchaus mögliches Projekt. Wenn du keine Szene hast die dir den Rücken stärkt, dann macht Diskriminierung dich auf Dauer kaputt.
SISSY BOY: Ich habe bemerkt, wenn ich als Typ z.B. Nachts auf der Straße unterwegs war, das ich ganz anders behandelt wurde. Also das Männer mir aus dem Weg gegangen sind, ihre Augen senkten oder auch, das war echt unangenehm, das Frauen die Straßenseite gewechselt haben. Also wenn ich das Argument höre, daß das Männer und Frauen doch quasi schon Gleichberechtigt sind, ey das ist so falsch!
Zieh dir als Typ mal einen Rock an, flache Damenschuhe, schmink dich dezent-feminin, mach dir ne kleine Spange in den Pony und fahr samstag nachts allein mit der Straßenbahn... da kannst du echt erleben was Diskriminierung ist...
SISSY BOY: Gewalt gegen Frauen ist einfach Alltag...
UNDERDOG: Habt ihr persönlich negative Erfahrungen von Heteros gemacht, die euch nicht "niedlich" fanden, sondern verbal/körperlich attackiert haben?
SISSY BOY: Als Sissy Boyz wurden wir noch nie körperlich attackiert- ist auch nicht ratsam... Mal fanden einzelne uns doof und haben uns das gesagt, das waren oft Lesben... Dann diskutieren wir mit denen, das ist interessant...
Im Alltag sind welche von uns angegriffen worden, weil die Leute nicht wussten ob sie Frau oder Mann waren. Das scheint die Leute total zu verunsichern. Besonders auf Autobahnraststätten... das gehört bei denen wohl zur Grundausbildung.. und natürlich gibts homophobe und sexistische Anmachen..
UNDERDOG: An welchen Orten tretet ihr auf? Sind die Locations immer nur auf special event(Queer/Lesbenveranstaltungen, Ladyfest...) ausgerichtet?
SISSY BOY: Das ist ganz unterschiedlich. Wir waren viel auf den "special events", aber auch mal auf nem bürgerlichen Kulturfest. Die oben genannten sind für uns auch gar nicht so "special" oder "anders"...
UNDERDOG: Ihr versteht euch auch als Teil der autonomen queeren Szene. Welche Ziele verfolgt ihr dabei?
SISSY BOY: Revolution. Umstürzen der bestehenden Verhältnisse. Spaß, Knutschen und guter Sex. Das ist eine Szene in der wir am ehesten so sein dürfen wie wir sind. Die autonomen Queers rocken uns total!!
UNDERDOG: Was macht es in Bremen einfach, als feministische Lesbe sein zu dürfen? Gibt es eine gut strukturierte Szene?
SISSY BOY: In Bremen laufen viele Szenen durcheinander, weil die Stadt ja nicht so groß ist und sie eine lange "liberale" Tradition hat. Die Kunstszene hängt mit der Punkszene hängt mit der Queerszene hängt mit der Politszene hängt mit der FrauenLesbenTransszene hängt mit der Antifa zusammen usw.... also du kriegst immer was von den anderen mit. Die Infrastruktur ist sehr gut, es gibt mehrere Konzertorte, Jugendzentren, Clubs, Theater, Infoladen, Sielwallhaus, Zakk, Werkstätten, Gruppenräume, Proberäume....
Nach meinem Eindruck ist es hier nicht so entscheident ob du Homo, Hete oder Queer bist, da ist ein großes Maß an persönlicher Freiheit schon erreicht. Viele Typen haben voll was gecheckt, das ist cool. Da rennen nicht alle weg, wenn du "Feminismus" sagst.. die wissen es zu schätzen starke Frauen in ihrer Szene zu haben.
SISSY BOY: Ach, wie kommst du denn drauf das wir alle Lesben sind?
UNDERDOG: Seht ihr den Vorwurf, dass gerade feministische HC-Lesben ihre Gedanken in die Riot GRRl-Bewegung transportieren und dafür sorgen, homogene Regeln aufzustellen?
SISSY BOY: Nein, seltsamer Vorwurf. Hier gibt es keine Riot GRRRL Bewegung, oder meinst du die Ladyfeste? Und so viele feministische HC-Lesben sind das leider auch gar nicht. Da wird viel projiziert. Besonders von Männern die Angst vor Frauen haben. Bei uns fliegen sexistische und rassistische Typen raus, das ist eine Regel. Wer sich scheiße verhalten will, dem steht die ganze Welt offen, der kann ja ins Fußballstadion, zu seinen Eltern nachhause oder in normale Diskos gehen. Ich verstehe nicht, warum ich da "tolerant" sein sollte. Die Szene betrachte ich eben auch als Schutz- und Rückzugsraum für diejenigen die von der Gesellschaft ständig auf die Fresse kriegen.. Ich bin gerne bereit über Respekt und Grenzen zu diskutieren, aber ich will dabei nicht immer wieder bei null anfangen müssen... Männer sollten da untereinander mehr Verantwortung übernehmen.
SISSY BOY: Natürlich gibts auch Scheißverhalten von Frauen.. aber prozentual liegen Männer da ganz weit vorne...
UNDERDOG: Punk und Feminismus. Ist das für euch ein Widerspruch oder eine ideale Mischung, kreativ zu sein?
SISSY BOY: Das passt! Beide verbindet das Streben nach Freiheit, das Scheißen auf althergebrachte Autoritäten, DIY und fuck you- ich mache was ich will! Natürlich nur solange Punk nicht zum Kindergarten für weiße mittelklasse Jungs verkommt. Und die Mädels still und mager in ihren H&M Nieten zusehen. Das nervt mich... Der Schlankheitswahn in der Punk Szene...
SISSY BOY: Punk hat immer wieder Menschen und Bands beeinflusst die auch uns geprägt haben: Harum Scarum, Patti Smith, Tribe8, Kobayashi, Sonic Youth, Team Dresch, Hole (...), L7, Nan Goldin... Lesbians on ecstasy, Scream Club...
UNDERDOG: Euch gibt es seit fast 4 Jahren. Ihr habt an verschiedenen Ladyfesten teilgenommen. Erzählt mal von euren persönlichen, besonderen Erlebnissen und Erfahrungen, die er dabei gewonnen habt. Waren diese Auftritte Bestätigung und Motivation, weiter zu machen?
SISSY BOY: Ladyfeste rocken! Noch immer hungere ich danach Frauen auf der Bühne, bei Vorträgen, Ausstellungen, in Organisationsstrukturen zu sehen... Jedes Ladyfest war völlig anders. Manche waren eher Punkrock, DIY andere eher Poplinks, Akademisch.. immer waren interessante Leute beteiligt. Wien war cool, weil sie die "unsichtbare" Reproduktionsarbeit, z.B. derer die nach der Party aufräumen, betont haben und das EKH der Hammer ist, in Nürnberg gab es von TeilnehmerInnen die berechtigte Kritik das die Ladyfeste sehr "weiß" ist... Geld ist auch oft ein schwieriges Thema: das läuft einem schon schräg rein, wenn der Gig nach dir eine vierstellige Summe bekommt, während du mit dem billigsten Zug zu nachtschlafender Zeit angereist bist...
UNDERDOG: Punk ist für mich vor allem auch die grenzenlose Suche nach unabhängigen Möglichkeiten, sich auszudrücken. Wo geht ihr Kompromisse ein?
SISSY BOY: Wir müssen Kompromisse eingehen, da wo es um unsere zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten geht... und innerhalb der Band natürlich...
UNDERDOG: Wird es SISSY BOYZ nur in der jetzigen Formation geben oder seid ihr austauschbar?
SISSY BOY: Wir haben einen aufblasbaren Ersatz-Boy...
UNDERDOG: Was wünscht ihr euch neben Oma-Unterhosen noch für die Zukunft?
SISSY BOY: Daß Opas und Omas Vergangenheit endlich aufgeklärt wird...
Underdog, Autonomes Zentralorgan Wildeshausen #16, Sommer 2006, www.underdogfanzine.de/
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